Ab in Frankreichs Süden – Besuch in Bad Königs Partnerstadt Argentat-sur-Dordogne.
Seit mehr als vier Jahrzehnten fahren Bad Königer nun schon in die Partnerstadt Argentat-sur-Dordogne und kommen Gäste von der Dordogne an die Mümling. Und doch gibt es immer wieder Neues zu entdecken, nie kommt Langeweile auf, und auch für den diesjährigen Besuch der Odenwälder in der französischen Partnerstadt hatten die Gastgeber ein abwechslungsreiches Programm vorbereitet, das aber auch genug freien Raum ließ, das Städtchen an der Dordogne auf eigene Faust zu erkunden und bei Gelegenheit unter Schatten spendenden Platanen einen kühlen Pastis zu schlürfen.
So reichhaltig war das Programm, dass in diesem Bericht nur ein Überblick geboten werden kann. Das aber geschieht in der Hoffnung, die Bad Königer, die ihre Partnerstadt noch nicht kennen, zu einer Visite zu animieren; sie werden es nicht bereuen.
Dabei sollte man sich weder von der langen Fahrt noch dem Antritt der Reise zu nachtschlafender Zeit abhalten lassen. Noch fordert deutsche Pünktlichkeit ihren Tribut:
Genau um 2 Uhr am Morgen fährt der Bus vom Thermenparkplatz mit rund 50 Teilnehmern, darunter auch acht Jugendliche, los. Die Nacht ist längst der Helligkeit des Morgens gewichen, als die Reisenden die Grenze zu Frankreich überqueren. Im Norden liegen die Vogesen im Morgenlicht, bald fahren wir an Belfort und Besancon vorbei, und schließlich wechseln wir von der südwärts nach Lyon und Marseille führenden Autobahn auf eine ebenfalls vierspurig ausgebaute Nationalstraße, die von Macon über Moulin nach Vichy und also gegen Westen führt. Als das Busnavi eine Ankunftszeit weit vor der vorgesehenen anzeigt, kommt Unruhe auf: das könnte dem deutschen Image der Pünktlichkeit einen Kratzer versetzen. Immerhin verhilft diese Sorge der Reisegruppe zu einer Sightseeing-Tour; auf Vorschlag der orstkundigen Busfahrer wird in dem kleinen Ort Digoin an der Loire eine längere Pause eingelegt. Das Städtchen liegt im Département Saone-et-Loire, und hier fließt nicht nur die Loire vorbei; eine Sehenswürdigkeit ist vor allem der mittels einer Brücke über die Loire geführte Kanal, und es trifft sich, dass gerade zum Zeitpunkt, da wir entlang der Loire und über die Brücke („pont canal“) schlendern, ein Schiff aus einer Schleuse in den Kanal einfährt. Darunter fließt breit und ausladend die Loire, vielleicht der französischste aller französischen Ströme, zwischen dessen Ufern nicht nur die Wellen plätschern, sondern auch Sandbänke leuchten, ein Zeichen, dass man dem Fluss jedenfalls hier an seinem
Oberlauf keine künstlichen Grenzen setzen will. Wir sind in Frankreich, da muss nicht alles
betoniert und rechtwinklig eingeengt werden. Nach der Pause in Digoin wieder guter Hoffnung, pünktlich in Argentat anzukommen, tritt dann aber doch eine Verzögerung ein, weil wir die Abzweigung der Autobahn nach Orléans verpassen und einige Zeit weiter nach Süden und dann sogar wieder Richtung Lyon fahren; aber das beschert uns immerhin einen reizvollen Ausblick auf die Vulkankette um den Puy de Dome, die wir Argentatfahrer sonst nur von Norden sehen. Der Ruf der Deutschen, auf Pünktlichkeit Wert zu legen, geht damit allerdings völlig den Bach hinab, denn statt um 17 Uhr treffen wir erst eine Stunde später in Argentat ein, was die französischen Gastgeber, längst per Handy von unserer Verspätung unterrichtet, aber nicht weiter zu stören scheint.
Bürgermeister Duchamps und die Vorsitzende des Partnerschaftskomitees, Nicole Farges, hatten es sich nicht nehmen lassen, uns bereits einige Kilometer vor dem Ziel zu begrüßen. Die am Ziel folgenden Willkommensworte können daher kurz gehalten werden; die Freude über das Eintreffen der Gäste wird trotzdem nachhaltig zum Ausdruck gebracht. Schnell sind daher die Gläser gefüllt und die Platten mit kleinen Köstlichkeiten herumgereicht, womit wir bei einem Punkt angelangt sind, der uns auch an den kommenden Tagen unseres Aufenthaltes in Argentat-sur-Dordogne immer wieder erfreuen wird: Essen und Trinken!
Nun soll sich dieser Bericht nicht zu einem Gourmet-Lexikon auswachsen, aber völlig unterschlagen können wir das Thema nun doch nicht. Es gibt nämlich keine bessere Gelegenheit, Deutsche und Franzosen ins Gespräch zu bringen als die gesellig um mit Speisen und Getränken beladene Tische versammelten Gäste und Gastgeber. Von früheren Besuchen wissen wir zudem, dass die Franzosen ihren deutschen Gästen gerne Produkte ihrer Region vorstellen, und auch in diesem Jahr ergibt sich dazu eine Gelegenheit. Es steht an einem der Tage unseres Aufenthaltes eine Weinprobe an, und die findet in einem kleinen Ort in der Nähe statt. Hier, in Chirac, ist der Vin Paillé zu Hause, dessen Name von der Produktionsmethode abgeleitet ist. „Paille“ – das ist das französische Wort für Stroh, und der Wein trägt diesen Namen, weil die Trauben nach der Ernte erst einmal einige Wochen auf Stroh getrocknet werden. Erst wenn vier Fünftel des Wassers verdunstet sind, werden die Trauben gepresst; danach lässt der Winzer die gewonnene Flüssigkeit in Fässern gären; erst nach vielen Monaten wird der Wein in Flaschen abgefüllt. Durch den langen
Trocknungsprozess sind Aroma und Süße konzentriert; das Ergebnis ist ein Weinchen, das bestens als Apéritif geeignet ist. Wir können uns im kleinen Keller des Winzers nach eingehenden Erläuterungen, zu denen auch einige deutsche Weinkenner ihren Beitrag leisten, von der Güte des Produkts überzeugen und vor dem Abschied von Chirac gehen denn auch so einige Flaschen über den Ladentisch.
Bleiben wir noch für einen Augenblick bei den Produkten der Region. Der Wochenmarkt, den wir an einem Vormittag besuchen, bietet da einen guten Überblick. Die großen Käseräder fallen natürlich sofort ins Auge, ein knuspriges Spanferkel an einem Metzgerstand lässt das Wasser im Munde zusammenlaufen, und der Inhaber einer Forellenzucht, der seine Fische, hinter dem Verkaufstresen stehend, erst auf Zuruf der kaufwilligen Kunden schlachtet, garantiert für die Frische seines Produkts. Von den diversen süßen Leckereien, den Weinen und Spirituosen soll hier schon aus Platzgründen nicht weiter die Rede sein.
Wer sich inzwischen zur Schlemmerei hat verführen lassen, wird froh sein, sich im Sportzentrum von Argentat ein wenig bewegen zu können. Da kommt die Einführung in das „Boule Lyonnais“ gerade recht. Vom Pétanque-Spiel, das inzwischen auch in Bad König seine Anhänger und sogar eine Spielstätte auf dem Sportgelände in Nieder-Kinzig gefunden hat, unterscheidet sich „Boule Lyonnais“ vor allem durch den Einsatz größerer und schwererer Spielkugeln und einer ausgeklügelten Einteilung des Spielfelds. Wie beim Pétanque geht es darum, die 900 bis 1200 Gramm schweren Wurfkugeln möglichst nahe bei der kleinen Zielkugel zu platzieren. Zur Erklärung der weiteren Spielregeln fehlt hier der Raum. Zu erwähnen ist aber, dass der Vorsitzende des Bad Königer Pétanque-Clubs, Matthias Etrich, nach dem in Argentat ausgetragenen Wettbewerb die Spieler und Zuschauer wissen ließ, dass seine Anregung, die Städtepartnerschaft zwischen Bad König und Argentat durch eine Partnerschaft der beiden Pétanque- bzw. Boule-Vereine zu ergänzen, bei den Franzosen auf großes Interesse gestoßen sei. Vielleicht nehmen das auch andere Vereine in Bad König und Argentat als Anregung auf, über solche Vereinspartnerschaften einmal nachzudenken. Natürlich stand auch im Mittelpunkt unseres Aufenthaltes im Sportzentrum von Argentat die Geselligkeit, zu der wieder einmal die Sänger der Gruppe „Los Gojats del Porti“ ihre mit heftigem Beifall belohnten Beiträge lieferten.
Den kulturellen Höhepunkt ihres diesjährigen Besuchs erlebten die Bad Königer in Beaulieu-sur-Dordogne, etwa eine halbe Stunde flussabwärts von Argentat gelegen. Der kleine Ort hat mit der Abteikirche St. Pierre aus dem IX. Jahrhundert ein historisches Monument ersten Ranges aufzuweisen. Einstmals als Wallfahrtskirche genutzt, ist der in hellem Sandstein ausgeführte romanische Bau nicht zuletzt wegen seines das Hauptportal dominierenden Tympanons aus dem XII. Jahrhundert berühmt. In dessen Zentrum steht eine über zwei Meter große Christusfigur, umgeben von Aposteln und Fanfaren blasenden Engeln. Darunter finden sich in zwei Ebenen chimärenartige Figuren mit Hunde- und Vogelköpfen sowie weitere Mischwesen mit mehreren Köpfen, die auf die Apokalypse verweisen. Ob hier eine Darstellung des Jüngsten Gerichts dargestellt wird, ist nicht ganz gewiss, es fehlen die Erzengel. Die Steinmetzarbeiten, die hier zu besichtigen sind, belegen aber die künstlerischen Fähigkeiten der Handwerker des Mittelalters. Im Kircheninneren beeindruckt das hohe Tonnengewölbe des Mittelschiffs; die beiden Seitenschiffe werden von Kreuzgratgewölben abgeschlossen. Im Querhaus stößt der Betrachter auf einen Teil des Kirchenschatzes; in einer Vitrine sind Reliquiare ausgestellt, darunter zwei Armreliquiare der Heiligen Felicitas und des Heiligen Emilien, zu denen uns der Deutsch sprechende Führer so manche Geschichte zu erzählen hat. Der Besuch in Beaulieu , der – natürlich – mit einem ausgiebigen Picknick auf einer direkt an der Dordogne gelegenen Wiese begonnen hatte, zu dem auch der Bürgermeister des Städtchens erschien, dessen Mitarbeiter den Platz für die Gäste aus Argentat und Bad König vorbereitet hatten, endete mit einer Fahrt auf der Dordogne. Die Gabare, in der diese Schiffsreise unternommen wurde, trägt die Namen „Adèle et Clarisse“, eine Erinnerung an die zwei Frauen, die hier bis in die achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts eine Fähre auf der Dordogne betrieben haben. Für den Berichterstatter, der vor langer, langer Zeit mit mehreren „Enten“, auch „ZwoCV“ genannt, die Straßen unsicher gemacht hat, hielt dessen Gastgeber zum Beschluss des Besuchs in Beaulieu noch eine besondere Überraschung bereit. In einer Dyane 6, Nachfolgemodell der „Ente“, preschte er über die kurvenreichen Straßen, dass einem Hören und Sehen vergehen konnte, den Fluss aufwärts zurück nach Argentat. Nichts gegen Audi, VW oder Opel, aber die „Ente“ ist eben doch nicht nur ein Auto, sondern Lebensgefühl pur!
Wir wollen es, um die Leserinnen und Leser nicht zu überfordern, bei dieser Zusammenfassung belassen. Es wäre schön, wenn der eine oder andere Bad Königer, angeregt durch diese Lektüre, unsere Partnerstadt einmal mit einem Besuch beehren würde. Argentat-sur-Dordogne und seine Umgebung sind allemal eine Reise wert.
Thomas Seifert