Deutsch-französischer Tag in Bad König

Regelmäßige Treffen der Staats- und Regierungschefs, Konsultationen in Fragen der Außen- und Verteidigungspolitik mit dem Ziel einer „gleichgerichteten Haltung“ in diesen und anderen politischen Fragen, aber auch eine Förderung des Sprachunterrichts – das sind einige Kernpunkte des vor 61 Jahren am 22. 1. 1963 in Paris vereinbarten Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich über die Vertiefung der deutsch-französischen Zusammenarbeit. Das große Interesse, auf das die vor einem Jahr vom Partnerschaftskomitee Bad König – Argentat-sur-Dordogne veranstaltete Feierstunde zum 60. Jahrestag des Élysée-Vertrags stieß, spornte die in der Partnerschaft Aktiven der Kurstadt auch in diesem Jahr dazu an, des Vertragsabschlusses zu gedenken.

Als Redner konnte das Komitee den von 1994 bis 1999 im Kabinett Eichel für das Innenressort zuständig gewesenen Gerhard Bökel gewinnen, der sich seit seinem Ausscheiden aus der Politik publizistisch und in Vorträgen der deutsch-französischen Geschichte widmet und dabei sein Augenmerk vor allem auf die Zeit der Besetzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg und die französische Résistance richtet. Bökel, in jungen Jahren als Korrespondent für die Frankfurter Rundschau und später als Rechtsanwalt tätig gewesen, arbeitete von 1978 an als Abgeordneter der SPD im Hessischen Landtag. Nach dem Ende seiner politischen Laufbahn zog es ihn in den Süden Frankreichs, wo sein früherer Wahlkreis als einer der ersten überhaupt eine kommunale Partnerschaft mit der französischen Stadt Avignon eingegangen war.

Seinen rund fünfzig Zuhörern im Großen Saal der Rentmeisterei von Bad König bot Bökel zunächst einen Überblick über die wechselhafte deutsch-französische Geschichte. Dabei ging er vor allem auf die Verletzungen ein, die sich die beiden Länder in der Vergangenheit gegenseitig zugefügt haben. Den Ausgang des deutsch-französischen Kriegs 1870/71 nutzten die Deutschen zur Gründung des Deutschen Reichs und zur Etablierung eines Kaisers ausgerechnet im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles; zur Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens nach dem 1. Weltkrieg bestellten die Sieger die unterlegenen Deutschen in einen Eisenbahnwaggon nach Compiègne, und Hitler ließ diesen Waggon nach der Niederlage der Franzosen im 2. Weltkrieg eigens aus einem Museum holen, weil er nun seinerseits den unterlegenen Nachbarn ihre Niederlage möglichst drastisch vor Augen führen wollte.

Im weiteren Verlauf seines von den Zuhörern mit großem Interesse verfolgten Vortrags berichtete Bökel von der Kollaboration des Vichy-Regimes mit den deutschen Besatzern, von der Deportation der französischen Juden in die deutschen Vernichtungslager und über den von den Franzosen gegen die Besatzer geleisteten Widerstand. Bei der Schilderung der von den deutschen Siegern zur Bekämpfung der Résistance angewandten Methoden stellte der Referent den Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD in Bordeaux, den deutschen Juristen Hans Luther in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Luther, der als Verantwortlicher für die Tötung zahlreicher Geiseln angesehen wird, erfuhr in einem nach dem Krieg in Frankreich gegen ihn angestrengten Strafverfahren die Unterstützung der beim Auswärtigen Amt in Bonn eingerichteten Zentralen Rechtsschutzstelle, in der aus der NS-Zeit vorbelastete Mitarbeiter walten konnten. Er konnte nach dem Krieg wieder als Richter in Hessen tätig werden und wurde ausgerechnet mit einer Doktorarbeit über den französischen Widerstand promoviert, in der er den Franzosen das Recht zum Widerstand gegen die Besatzer absprach. Nicht zuletzt die in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Fragen bestimmten die anschließende rege Diskussion.

Dankesworte der Komiteevorsitzenden Ellen Nisch und des Bad Königer Bürgermeisters Axel Muhn an Gerhard Bökel beschlossen den Abend.

 

Ein Dankeschön galt auch den Mitarbeitern des städtischen Bauhofs, die den Großen Saal der Rentmeisterei für die Veranstaltung vorbereitet hatten, und einem Team des Partnerschaftskomitees, das für die Gäste, darunter auch Interessierte aus Höchst, Michelstadt und Erbach, Getränke und Speisen vorbereitet hatte.

Nicht zu vergessen das Dankeschön an Gerlinde Krönung – sie hatte den Kontakt zu Herrn Bökel hergestellt – und an das Ehepaar Steiger von der Bad Königer Buchhandlung „paperback“, das einen Büchertisch mit Literatur zu den deutsch-französischen Beziehungen aufgestellt hatte, auf dem auch die von Gerhard Bökel verfassten Publikationen „Bordeaux und die Aquitaine im Zweiten Weltkrieg“ und „Der Geisterzug, die Nazis und die Résistance“ auslagen.

Thomas Seifert